(Vorhang auf , Licht an, Schüler sitzen an ihren Tischen, Feli kommt rein)

Feli:

Hallo Leutchen! Ich grüße euch! (zieht Schal & Mantel aus)
 

Schüler

(gemurmelt) Morgen...
 

Feli:

Was ist denn los mit euch? Ich höre gar nichts!
 

Schüler:

(laut und deutlich) Guten Morgen!
 

Feli:

Leutchen, ich habe wieder einen Theaterplan dabei. (holt ellenlangen Plan hervor) Wie wär’s denn mit der „Kahlen Sängerin“ am Donnerstag; das ist um 19.30 Uhr.

Eva:

Wir schreiben am Freitag aber eine vierstündige Klausur!
 

Feli:

Aber da lernt ihr doch nicht mehr am letzten Tag!
 

Susi:

Frau Vieson, da gehen wir aber doch schon in die „Dreigroschenoper“!

Feli:

Ach so - wie ärgerlich ! Ich hab’ dummerweise schon die Karten bestellt. Da müssen Sie dann mal hingehen und absagen. Astrid, machen Sie das?

(Astrid nickt)
 

Feli:

Wie wär’s denn dann mit Samstag, 20 Uhr?
 

Alle:

Ach nee, nicht am Wochenende...
 

Feli:

Das läuft aber sonst nur noch am 15. und da kann die Helga....äh.....ich nicht!

(Allgemeines Schweigen, schließlich unzufriedene Zustimmung)
 

Feli:

Also bestell’ ich das jetzt für Samstag. Astrid, sammeln Sie wieder das Geld ein? Anyway ... Leutchen, könnt ihr jetzt umschalten auf „Minnesang“?

(murmeln, Schüler holen die Bücher raus)
 

Feli:

Ihr habt euch doch sicher Gedanken zum Gesamtwerk von Walter von der Vogelweide gemacht?

(Schüler schauen irritiert)
 

Feli:

Ihr kennt doch Walter von der Vogelweide?!?
 

Daniel:

War das nicht Goethes Geliebter?
 

Astrid:

Sturm und Drang?!?
 

Julia:

Nee, Aufklärung!
 

Feli:

Leutchen, ich versteh ja, daß es so früh am Morgen ist....Eva, haben Sie eine Idee?

Eva:

War das nicht der, der „Hamlet“ geschrieben hat...?
 

Feli:

Jetzt sammelt euch doch mal! Leutchen, ich hab’ das Gefühl, ihr habt gar nix gemacht...

Christina:

Scheiße, scheiße, ich hab’ den falschen Text gelesen !

Julia:

Ich hab’s falsche Buch !
 

Daniel:

In meiner Ausgabe ist das gar nicht drin...
 

Nevy:

Ich war ja letzte Stunde nicht da !
 

Feli:

Ramon, sagen Sie doch mal ‘was dazu...
 

(Ramon murmelt)
 

Feli:

Ich seh’ schon, das müssen wir jetzt noch mal machen. Susanne, können Sie mal lesen...

Susi:

(liest vor) „Er erstürmte meine kleine Burg mit seinem aufgerichteten Speer...“

Feli:

Stop, Stop, Stop, Stop!!! Über diesen Satz wollen wir uns mal genauer unterhalten. Jetzt seid ihr dran! Ramon?
 

Ramon:

Das ist halt so ‘ne Kriegsszene...
 

Feli:

Nicht so platt! Ihr müßt das mal metaphorisch sehen...
 

Nevy:

Da plant jemand’n Überfall, oder?
 

Feli:

Konzentrieren Sie sich mal auf den „aufgerichteten Speer“...
 

Susi:

Revolution gegen die Normen und Konventionen der damaligen Ständegesellschaft !

Tina:

Wenn man die Burg als sakralen Ort sieht, ist das ja wie bei Brecht’s „Galilei“...

(Feli starrt in Trauermine vor sich hin - Peinliche Pause)
 

Astrid:

Da stimmen die Größenverhältnisse nicht. Mit einem Speer kann man doch keine Burg erstürmen...

Daniel:

Das ist doch ‘ne kleine Burg! Es heißt doch: „Er erstürmte meine kleine Burg mit seinem aufgerichteten Speer!
 

Christina:

Psychische Grausamkeit!

Feli:

Leutchen, seid doch mal romantisch! Denkt doch mal an Liebe...
 

Julia:

Wieso Liebe? Das ist doch eher Krieg?!?
 

Feli:

Leutchen, der Speer ist ein Phallussymbol!
 

Alle:

Ach so, na klar, ja natürlich,....
 

Eva:

Das hat der Ramon doch ganz am Anfang schon gesagt - er hat doch den Krieg der Geschlechter gemeint!
 

Feli:

Na ja, macht euch da zum nächsten Mal noch ein paar Gedanken drüber - aber keine Stichworte, im Abitur müßt ihr auch ausformulieren! Apropos Abitur: Ich hab’ mir da noch ‘was Tolles überlegt, das will ich vor dem Abi noch unbedingt mit euch machen...

Alle:

(protestierend) Oh nein, ach nee...

(es klingelt)
 

Feli:

Doch Leutchen, ihr werdet euch freuen, wenn ihr’s hört! Und ich bin mir sicher, ihr habt Spaß dabei! Ich hab’ mir nämlich gedacht, daß wir diesmal keine Buchvorstellung machen und auch keine Autorenvorstellung...

(allgemeines Aufatmen)
 

Feli:

...sondern eine Epochenvorstellung mit den bekanntesten Autoren, ihren großen Werken und deren Leben im sozialhistorischen Kontext!

(allgemeines Entsetzen)
 

Eva:

(protestierend) Aber Frau Vieson, wir haben doch nur noch zwei Wochen bis zum Abi. Wir müssen doch auch noch ‘was für andere Fächer tun!

Feli:

Ach Leutchen, unterschätzt euch nicht! Ihr müßt eure Ziele nur hoch genug stecken. Ich weiß, ihr könnt das! Übrigens, habt ihr nicht Lust, ein bißchen „Faust“ auswendig zu lernen?

Julia:

Nee, das ist echt zu viel. Wir schreiben nächste Woche auch noch drei Klausuren...

Feli:

Dann muß ich’s euch eben aufgeben! Und außerdem habe ich mir überlegt...

Astrid

(schnell unterbrechend) Äh, Frau Vieson, es hat schon vor fünf Minuten geklingelt...

Feli:

Na gut, ihr Lieben! Dann wünsch’ ich euch einen schönen Tag und erholt euch gut. Ach ja, für die, die’s interessiert: da ist heute ‘ne Kunstausstellung...

(Licht aus, Vorhang langsam zu)